Landesbranddirektor Albrecht Broemme (1992 bis 2006)

Portrait

Albrecht Broemme

Kapitän in schweren Wassern

Das Auswahlverfahren um die Nachfolge Scholzens gewinnt ein Außenseiter: Albrecht Broemme ist im Sommer 1992 gerade erst zum Branddirektor ernannt worden und muss noch zwei Mal befördert werden, bis er sich „Landesbranddirektor“ nennen darf. Bei seinem Amtsantritt ist erst 39 Jahre alt und damit der jüngste Leiter in der Geschichte der Berliner Feuerwehr. Trotz seines jugendlichen Alters kann Broemme schon einiges vorweisen. Der gebürtige Darmstädter und diplomierte Elektrotechniker hat bei der Berliner Feuerwehr sein Brandreferendariat gemacht und wurde hier nach seiner Brandassessor-Prüfung als Brandrat eingestellt. Er war in der Fernmeldeabteilung sowie im Abschnitt Südost tätig. Als die Mauer fällt, leitet er den für die innere Organisation zuständigen Direktionsstab II und managt in den folgenden Monaten auf der Westseite die Zusammenführung der beiden Feuerwehren in Ost und West. Kurz nach der Wiedervereinigung wird er Verbindungsbeamter beim Senator für Inneres und wird von diesem dann eineinhalb Jahre später zum Landesbranddirektor gekürt.

Eine Herkules-Aufgabe

An den Youngster knüpfen sich viele Hoffnungen der Berliner Feuerwehrleute. Mit seiner jugendlichen, unkonventionellen Art gelingt es ihm schnell die Herzen der Feuerwehrangehörigen zu gewinnen. Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gewinnt unter ihm an großer Bedeutung und auch er selbst gewinnt schnell eine Medienpräsenz wie vor ihm allenfalls Scabell. Allerdings sind die Herausforderungen, die Broemme anzugehen hat, enorm umfangreich und eigentlich kaum zu schaffen. Fiel in Scholz`s Amtszeit die Vereinigung der beiden Feuerwehren in Ost und West, so muss Broemme nun diese neue Berliner Feuerwehr organisieren. Allein das schon eine Herkules-Aufgabe, doch fällt sie in Zeiten einer äußerst schwierigen Haushaltslage des Landes Berlins. 

Aus den jeweils vier West- und vier Ost-Abschnitten bildet Broemme 1993 sechs Abschnitte für das gesamte Stadtgebiet. Jeder Abschnitt wird von einem Branddirektor geleitet. Besonderen Wert legt Broemme bei der Neuorganisation auf eine bessere Ankopplung von vorbeugendem- und abwehrendem Brandschutz.

Mehr „Wir-Gefühl“

Zu Broemmes vornehmsten Zielen zählt die Etablierung einer neuen Führungskultur in der der Berliner Feuerwehr. Mit seiner oft unkonventionellen Herangehensweise will er verkrustete Strukturen aufbrechen. Praktische Lösungsansätze sind für ihn vorrangig vor Hierarchien und Althergebrachtem. Zudem möchte er das „Wir-Gefühl“ stärken und die Feuerwehr innerlich einen. Doch dies stellt sich als schwieriger heraus als erwartet. Die Überwindung der Teilung geht nur langsam voran und der Unmut innerhalb der Belegschaft wächst. Die Unterschiede im Gehaltsgefüge, die Broemme nicht beeinflussen kann, sorgen vor allem bei den „Ossis“ für Frustration. Die Einsatzkräfte aus dem ehemaligen Westteil, die in großer Zahl zum „Aufbau Ost“ umgesetzt werden, leisten wahre Pionierarbeit, gleichzeitig tragen Sie über lange Zeit die Hauptlast in der Notfallrettung, denn die rettungsdienstliche Ausbildung der über tausend Einsatzkräfte aus dem ehemaligen Ostteil geht naturgemäß nur schleppend voran. 

Wie bereits sein Vorgänger Scholz, hat Broemme erkannt, dass der großstädtische Verkehr ein schnelles Eintreffen der Feuerwehr zunehmend erschwert. Er löst sich daher allmählich vom Löschzug als autarke taktische Einheit und favorisiert das Modell vieler kleiner Feuerwachen im Stadtgebiet mit zum Teil nur ein bis zwei Fahrzeugen anstatt weniger großer Wachen mit komplettem Löschzug. Mit der Wache Haselhorst, die 1996 finanziert von der Firma Siemens als Kompensation für die Auflösung von deren Werkfeuerwehr, eröffnet wird, hat er die erste Wache nach seinen Vorstellungen realisiert. Jedoch bleibt diese Wache ein Einzelstück, weitere zusätzliche Kleinwachen lassen sich nicht finanzieren. Um den zunehmenden Verkehrsproblemen zu begegnen, lässt Broemme auch eine neue Fahrzeuggattung beschaffen: Das City-LHF, ein deutlich schmaleres und kürzeres Lösch-Hilfeleistungsfahrzeug dessen Beladung auf das Nötigste beschränkt ist. Das Fahrzeug ist in den Anschaffungskosten zudem deutlich günstiger als die bisherigen „großen“ LHF.

Ende der 1990er Jahre reorganisiert Broemme die Berliner Feuerwehr abermals. Ursächlich hierfür ist die sogenannte Berliner Verwaltungsreform. Dabei werden aus den sechs Abschnitten drei Direktionen gebildet, die als sog. Leistungs- und Verantwortungszentren langfristig eine eigenständige Personal- und Budgetverantwortung haben sollen. Aus den sechs Fachabteilungen bildet Broemme sog. Serviceeinheiten, wobei die bisherige Abteilung Allgemeine Verwaltung (AV) in vier Serviceeinheiten aufgeteilt wird. Aus der bisher für Grundsatzangelegenheiten zuständigen Abteilung I wird der „Grundsatzbereich (GS)“ wobei Leitstelle, Einsatzberichterstattung und Statistik in den neuen Bereich „Einsatzlenkung“ verlagert werden. Die Grundsatzangelegenheiten des Vorbeugenden Brandschutzes (bisherige Abteilung II) gehen ebenfalls in den GS-Bereich.

Probleme mit der Leitstelle

Schon wenige Wochen nach seinem Amtsantritt entscheidet Albrecht Broemme, mit dem Leitstellensystem „FIS III“ in den Echtbetrieb zu gehen, wohl wissend, dass dieses System kaum in der Praxis erprobt ist und die Leitstellenmitarbeiter noch nicht ausreichend an diesem Programm ausgebildet sind. Doch die nach wie vor nur für West-Berlin mit ca. 500 Einsätzen täglich ausgelegte Leitstelle muss nun durchschnittlich 1.000 Einsätze pro Tag bewältigen. Mit den bisher überwiegend manuell ausgeführten Arbeitsprozessen ist dies nicht zu bewältigen. Doch „FIS III“ arbeitet nicht wie erhofft. Gerade bei hohen Beanspruchungen gerät das System an seine Leistungsgrenze. So forciert Broemme parallel den Bau einer völlig neuen Leitstelle. Sein wohl größtes Desaster muss Broemme in der Silvesternacht 1999/2000 erleben. Die neue Leitstelle ist nicht wie erhofft rechtzeitig fertig geworden. So muss noch einmal mit dem „alten“ System FIS III“, teilweise aber schon in den neuen Räumlichkeiten gearbeitet werden. Das neue Jahr ist gerade vier Minuten alt, als FIS III ausfällt. Mehrere Versuche, das System bzw. die erste Rückfallebene neu zu starten misslingen. Als zweite Rückfallebene wird das alte System FIS II hochgefahren. Doch die Leitstelle wird damit dem enormen Einsatzaufkommen in der Silvesternacht nicht Herr. Bei der Beschickung von Notrufmeldungen kommt es bis zu 90-minütigen Verzögerungen. Erschwerend kommt hinzu, dass gegen ein Uhr auch die Fahrzeugzustandsanzeige nicht mehr fehlerfrei arbeitet, sodass man keinen Überblick mehr darüber hat, welche Einsatzfahrzeuge verfügbar sind. So kommt es zu der wohl einmaligen Situation, dass alle Einsatzfahrzeuge auf die Straßen geschickt werden, um Streife zu fahren, dabei werden Einsatzaufträge ähnlich wie beim Taxifunk verteilt. Zur Unterstützung werden nun auch Löschkräfte aus dem benachbarten Brandenburg nach Berlin geholt. LBD Broemme muss sich später für diese Pannen im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses rechtfertigen. Noch im Jahr 2000 kann endlich die neue Leitstelle an den Start gehen. Die nächste Silvesternacht wird in gewohnt guter Qualität bewältigt. 

Aufgrund der angespannten Haushaltslage Berlins steht Broemme unter hohem Spardruck. Er muss einen großen Personalabbau umsetzen. Übernimmt Broemme von seinem Vorgänger Scholz 1992 noch rund 5.200 hauptberufliche Mitarbeiter, so übergibt er an seinen Nachfolger Wilfried Gräfling im Jahre 2006 noch 3.800 Mitarbeiter, dies entspricht mehr als einem Viertel des Personals. Damit dürfte die „Ära Broemme“ die größte Personaleinsparung in der Geschichte der Berliner Feuerwehr sein.

Neues Einsatzkonzept

Auch im Einsatzbereich kommt es zu gravierenden Veränderungen. Der Einsatzdienst wurde dem massiven Personalabbau bislang nicht angepasst. Darüber hinaus kommt es vor allem durch eine hohe Anzahl von eingeschränkt Feuerwehrdienstfähigen und sog. „Dauerkranken“ ständig zu Personalengpässen. Der ständige Personalausgleich zwischen den Feuerwachen, das sog. „Wandern“, führt zu großer Frustration unter den Einsatzkräften. Um diese Misere zu verbessern, lässt Broemme 1995 durch die Abteilung I ein neues Einsatzkonzept ausarbeiten. Dieses Konzept stößt jedoch in der Mitarbeiterschaft und in der Beschäftigtenvertretung auf großen Widerstand und führt sogar zu öffentlichen Demonstrationen. In der Folge lässt Staatssekretär Kuno Böse eine sog. „Kommission Einsatzdienst (KED)“ einrichten, in der Mitarbeiter, Gewerkschaften und Vertreter der Landesbranddirektion unter Moderation eines leitenden Beamten der Innenverwaltung gemeinsam ein neues Einsatzkonzept erarbeiten. Broemme ist hierbei nicht mehr der „Herr des Verfahrens“ akzeptiert aber das Ergebnis, das er dann auch unter dem Titel „Einsatzkonzept 1999“ umsetzt. Kern des „EK 99“ ist die Abkehr vom Löschzug als taktische Einheit. Nunmehr ist die „Staffel“ die maßgebliche Größe, wobei die nun planmäßig mit 1:5, also mit sechs Einsatzkräften, besetzten LHF (bislang 1:1:5=7) die Drehleitern, die kein eigenes Personal mehr haben, „mitziehen“, d.h. zwei Einsatzkräfte, die eigentlich zum LHF gehören, fahren auf der Drehleiter. Obwohl es keine „Löschzüge“ mehr gibt, bleiben aber auf den meisten Feuerwachen noch zwei LHF stationiert. Eine Entspannung der Personalsituation wird vor allem auch dadurch erreicht, dass sieben Feuerwachen auf denen bis dato im 12-Stunden-Dienst gearbeitet wurde (44 Std./Woche), nun wieder in den 24-Std.-Dienst zurückgeführt werden, was de facto eine Arbeitszeitverlängerung für die Feuerwehrbeschäftigten bedeutet. Dafür soll das unbeliebte „Wandern“ für die Beschäftigten künftig entfallen. 

Doch ein großer Erfolg ist dem „EK 99“ nicht beschieden. Schon bald erweist sich die Personaldecke abermals als zu dünn. Da es nun aber kein Personalausgleich mehr zwischen den Feuerwachen mehr gibt, sind die LHF oft unterbesetzt. Zudem müssen immer öfter Teile einer LHF-Besatzung Rettungswagen besetzen um Belastungsspitzen abzudecken, denn Rettungsdiensteinsätze steigen stetig. Auch das „Mitziehen“ der Drehleitern erweist sich als problematisch. So bildet Broemme Anfang der 2000er eine sog. „Branddirektorenrunde“, die ein neues Einsatzkonzept erarbeiten soll. Mitten in die Planungen „platzt“ ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EUGh) wonach ein planmäßiger 24-stündiger Dienst unrechtmäßig ist. Die generelle Umstellung auf einen 12-Stunden-Dienst bedeutet jedoch einen erheblichen Personalmehrbedarf. Doch die Haushaltslage des Landes Berlin hat sich nicht gebessert und so wird Broemme von politischer Seite aus bedeutet, dass ein nennenswerter Personalzuwachs zur Umsetzung des EUGh-Urteils nicht denkbar ist. „Kreative Lösungen“ sind nun gefragt. Doch Broemme muss diesen „gordischen Knoten“ nicht mehr lösen. Im Jahre 2006 scheidet er, der sich in den zurückliegenden Jahren international ein hohes Ansehen als „Katastrophen-Experte“ erworben hat, aus der Berliner Feuerwehr aus, weil er als Präsident die Leitung der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk übernimmt. Er ist damit der erste Chef, der die Berliner Feuerwehr verlässt, um eine höherwertige Tätigkeit anzutreten. 

Sei Nachfolger wird sein bisheriger ständiger Vertreter, der Leitende Branddirektor Wilfried Gräfling.